Eine schwierige Entscheidung

Sie und Seitensprung? Niemals! Noch vor wenigen Wochen hätte Julia, wie sie sagt, ihr ganzes Hab und Gut darauf verwettet, dass ihr niemals das passieren würde, was inzwischen Fakt war: Auf einer Geschäftsreise, war sie nach einer feucht- fröhlichen Tour durch die Altstadt, mit einem Kollegen in dessen Hotelzimmer gelandet….Mehr wollte sie darüber nicht sagen, nur so viel: Wenn sie Chris verlieren würde, wäre das ihre gerechte Strafe – fünf Jahre Liebe und Glück habe sie an einem einzigen Abend leichtfertig aufs Spiel gesetzt und vielleicht für immer verloren! Schon vor ihrer Rückreise habe sie mit dem Kollegen geklärt, dass es keine Fortsetzung geben werde. Gegenseitig hatten sie sich Stillschweigen versprochen.

Wenn Julia den „Seitensprung“ schon nicht ungeschehen machen kann, hat sie ihn für sich wenigstens mental zu einem Unfall erklärt. Damit könnte er als einmaliges Ereignis in ihrem Erfahrungsschatz seinen Platz finden, wenn ihr Gewissen und ihre Schuldgefühle sie inzwischen nicht so quälen würden: …wie konnte ich nur…..ach, hätte ich doch…..warum habe ich nicht… Bei ihrer Rückkehr habe sie Chris ́ liebevolle Begrüßung kaum ertragen können. Ahnungslos, wie er war, habe er sie voller Freude über ihr Wiedersehen in die Arme geschlossen. Inzwischen könne sie ihm kaum noch in die Augen sehen, weil sie immer denken muss: Wenn du wüsstest, was ich getan habe, würdest du mich jetzt nicht so lieb ansehen! Vielleicht würdest du mich gar nicht mehr lieben können! Julia war hin- und hergerissen: Sollte sie Chris alles beichten oder sollte sie lieber schweigen?

Inzwischen ist ihre Beziehung für sie immer mehr zu einem Katz- und Mausspiel geworden, weil sie das Gefühl hat, dass Chris etwas ahnt. Kürzlich habe er sie gefragt, ob es ein Problem gäbe, sie sei in letzter Zeit so bedrückt…. In dem Moment sei sie drauf und dran gewesen, ihm alles zu beichten – sie habe doch eh nur die Wahl zwischen Pest und Cholera!

Tatsächlich scheint es für Julia im Moment nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder sie behält ihren Seitensprung als Geheimnis für sich und wird weiter unter der Last ihrer Schuldgefühle leiden, oder sie offenbart sich und geht das vermeintliche Risiko ein, von Chris verlassen zu werden.
Fatal ist es für Julia, dass sie ihre Ängste, ihre Schuldgefühle und alle denkbaren Folgen als „gerechte Strafe“ ansieht: Sie glaubt, sie habe es nicht besser verdient! Damit sabotiert sie zurzeit jegliche Chance, das bereute Ereignis so in ihr Leben integrieren zu können, dass sie es zwar als Fehler, aber nicht als „böse Tat“ ansieht.

Die Scharfrichterin urteilt über den Seitensprung

Dass sie den Abend bereut und am liebsten ungeschehen machen würde, ist verständlich, aber hier geht es offenbar um ein altes Programm, das sich vor langer Zeit einmal installiert hat: Mit der von ihr erwarteten „gerechten“ Strafe, scheint Julia sich immer noch in dem Programm des abhängigen Kindes zu befinden, das für seine Fehler erst büßen muss, damit „alles wieder gut“ werden kann. Zu ihrem Seitensprung gehört offenbar eine Strafe – sie ist Teil ihres Schuldprogramms. Die einstige Funktion der strengen Eltern hat sie sich längst zur eigenen Aufgabe gemacht: Julia ist inzwischen zu ihrer eigenen Scharfrichterin geworden.
Dieser Gedanke macht sie betroffen. Aber dann räumt sie ein, dass sie sich tatsächlich, besonders mit den Augen ihrer Mutter, gnadenlos selbst kontrolliert, moralisch bewertet und verurteilt. Ja, in ihrer Kindheit sei sie eigentlich immer erwischt bzw. „überführt“ worden, wie ihre Eltern es nannten. Sie wollten, dass aus ihr ein anständiger Mensch wird.

Liebesentzug und die gelegentliche Drohung ihrer Mutter, sie könne sich demnächst andere Eltern suchen, wenn das noch einmal passiert, seien für sie furchtbar und schlimmer als jede Ohrfeige gewesen.

Kein Wunder, dass Julia Angst hat, Chris´ Liebe zu verlieren: Den Liebesentzug als Strafe und die Angst vor Liebesverlust trägt sie als emotionale Erfahrung schon seit ihrer Kindheit in sich.

Die Entscheidung, ob sie sich Chris mit ihrem Seitensprung offenbaren sollte oder nicht, wird ihr niemand abnehmen können. Solange sie jedoch in ihrer Situation nicht den planvollen Ablauf ihres einst anerzogenen Schuldprogramms erkennen kann, sollte sie mit der Entscheidung warten.
Mein Rat an Julia: Den Seitensprung kannst du nicht rückgängig machen, aber du kannst die Verantwortung für ihn übernehmen: Verantwortung für dein Handeln ist allerdings mehr, als dich mit Schuldgefühlen zu quälen und darauf zu warten, dass dich jemand von ihnen erlöst!

Wenn du Chris von deinem Seitensprung erzählen willst, dann finde vorher heraus, warum dir das wichtig ist! Welches Motiv hast du? Soll er dir als Sünderin verzeihen und Absolution erteilen? Meinst du, er hat ein Anrecht darauf, es zu erfahren? Hältst du dich für eine Lügnerin, wenn du es ihm nicht erzählst? Willst du einfach dein Gewissen nur erleichtern? Oder glaubst du, erst eine Strafe verbüßen zu müssen, damit „alles wieder gut“ werden kann?

Die Angst vor Liebesverlust als Strafe

Für dich selbst ist der Abend eine einmalige Episode, aber wenn du ihn Chris erzählst, wird dieser Abend sich in seiner Fantasie unzählige Male immer wieder abspielen! Er wird tief verletzt sein – nicht nur als dein betrogener Partner, sondern auch als gekränkter Mann! Neben tausend Fragen, mit denen er sich selbst martern wird, wird sein Vertrauen zu dir natürlich erst einmal im Keller sein. Aber warum sollte er aufhören, dich zu lieben? Deine Angst ist die Folge deiner frühen Erfahrungen mit Liebesentzug und angedrohtem Liebesverlust als Strafe!

Hast du dir einmal die Frage gestellt, warum du dem Reiz zum Seitensprung nicht widerstanden hast? Deine ehrliche Antwort könnte dir helfen, wirkliche Verantwortung für ihn zu übernehmen. Wenn du mit dem Kollegen einen Sex hattest, wie du ihn mit Chris nicht hast, musst du ihm gegenüber kein schlechtes Gewissen haben. Du bist schließlich am Sex in deiner Beziehung genauso beteiligt wie er! Vielleicht könntest du dein Geheimnis nutzen und dafür sorgen, dass ein frischer Wind in eurer Beziehung weht. Dann könnte deine neue Erfahrung am Ende einen durchaus positiven Effekt und damit eine Chance für euch beide haben.

Die Entscheidung einer selbstbewussten Frau

Wenn du aber zu dem Entschluss kommen solltest, Chris von deinem Erlebnis zu erzählen, sprich erst dann mit ihm, wenn du dich nicht mehr als Sünderin fühlst! Frei davon wirst du in dem Moment sein, wenn du deine Schuldgefühle als das Ergebnis deiner Erziehung durchschaut hast! Höre also auf, dich weiter mit den Augen deiner Eltern zu beobachten und zu verurteilen! Mache dich frei von der Illusion, ihre Erwartungen immer noch erfüllen zu müssen, um als „anständiger Mensch“ vor ihnen bestehen zu können! Erst wenn du ihre Eltern-Macht als beendet erkennst, wirst du wissen, wie du dich im Interesse deiner Beziehung zu Chris entscheiden solltest.

Wie auch immer deine Entscheidung dann sein wird: Du wirst sie selbstbewusst und eigenverantwortlich als reife Frau treffen!

Bis zum nächsten „Moment of Life“!

Herzlichst
Ihre Dörte Thieme