Wer wird Opfer der emotionalen Erpressung – wer kann sich davor schützen?

In meinem Buch „TRAU KEINEM, DER DEIN BESTES WILL! Emotionale Erpressung erkennen – durchschauen – beenden“ geht es vor allem um das Opfer der emotionalen Erpressung. Theoretisch und in vielen Fallbeispielen beschreibe ich die Opferrolle als Folge einer fatalen Lektion aus der Kindheit. Das mag irritieren und möglicherweise sogar Empörung auslösen. Aber warum eigentlich?

Verbirgt sich hinter der Empörung die Scham und das schlechte Gewissen, die eigenen Eltern und ihre Erziehung infrage zu stellen? Aber was wäre eigentlich so schlimm daran, Fehler zu benennen, die die Eltern eventuell einmal gemacht haben? Eltern sind doch auch nur ganz normale Menschen, denen Fehler zugestanden werden sollten! Eltern, die von sich behaupten, alles immer richtig gemacht zu haben, wecken doch grundsätzlich eher unser Misstrauen. Haben diejenigen, die bereit sind, sich auch einmal selbstkritisch zu betrachten, nicht viel eher unsere Sympathie und Nachsicht? Ist es wirklich so schlimm, wenn wir als Erwachsene im Rückblick auf unsere eigene Kindheit feststellen, dass durchaus nicht alle erzieherischen Maßnahmen unserer Eltern gut und richtig waren?

Schluß mit dem Totschlagargument!

Dass sie dabei immer nur das Beste wollten, mag durchaus so gewesen sein, taugt aber als Totschlagargument nicht. Entscheidend ist schließlich, ob es am Ende für das Kind tatsächlich das Beste war. Spätestens im Erwachsenenalter wird sich das herausstellen: Wenn sich das inzwischen „erwachsene Kind“ mit Problemen konfrontiert sehen sollte, die sich in seinem Leben ständig in ähnlicher Weise wiederholen. Dann muss die Frage doch erlaubt sein, ob es damals wirklich immer das Beste war! Das heißt zwar nicht zwangsläufig, dass damit sein heutiges Problem zu erklären wäre. Aber es zwingt zum Nachfragen: Hat der Betreffende erst als Erwachsener sein Problem entwickelt, nachdem er vorher vollkommen stabil und völlig frei davon war? Oder hat er vielleicht schon in früher Vergangenheit seine Erfahrungen mit ihnen gemacht und hat sie einfach nur „vergessen“?

Gibt es vielleicht sogar eine typische Opfer-Karriere?

Haben Opfer der emotionalen Erpressung typische Merkmale, die ihre Opferrolle begünstigen? Mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaft ist davon auszugehen, dass das emotionale Erfahrungsgedächtnis hier eine wichtige Rolle spielt. In ihm sind Schuldgefühle, Verlustängste, mangelnder Selbstwert mit dem ständigen Verlangen nach Anerkennung und Liebesbeweisen verborgen. Es sind Emotionen, die schon früh in der Kindheit erworben wurden. Im Laufe der Zeit haben sie sich zur Basis seiner Erpressbarkeit entwickelt.

Es sind bestimmte Emotionen, die der Betreffende schon lange in sich trägt, bevor er als Erwachsener seinem Erpresser begegnet. Seine Fähigkeit zu Widerspruch und Widerstand gegen Erwartungen und Forderungen, die er nicht erfüllen mag, werden durch sie geschwächt. Häufig bestimmt diese Schwäche schon „vorauseilend“ sein Handeln: Wer Angst vor Liebesverlust hat, wird eventuell schon im Voraus vieles tun, um sich die Liebe des anderen zu sichern. Wer zu Schuldgefühlen neigt, wird sich bemühen, sein Versäumnis oder seinen vermeintlichen Fehler schnellstmöglich „wieder gutzumachen“. Wer Angst hat, als Egoist zu gelten, wird stets bemüht sein, das Gegenteil zu beweisen.

Auch der Erpresser hat seine Geschichte

Mit seinen Emotionen bietet das Opfer dem Erpresser eine willkommene Schwachstelle, die der zu nutzen versteht: Intuitiv weiß er, wen er vor sich hat und wie er vorgehen muss. Bewusst oder unbewusst ist ihm die Opferrolle aus eigener früher Erfahrung bekannt. Er hat sie allerdings irgendwann abgelegt, um selbst die Regie in diesem Machtspiel zu führen: Nie wieder soll es jemandem gelingen, ihn emotional zu beherrschen! Nicht nur das Opfer hat somit in seiner Kindheit die Eltern als Regisseure im Machtspiel der emotionalen Erpressung erlebt.

Die Erinnerung an bestimmte „schlimme“ Situationen fällt allerding schwer. Ein innerer Widerstand stellt sich ein, der das „emotionale Erinnern“ zu blockieren versucht. Das schlechte Gewissen regt sich, als ginge es hier um einen Betrug an der Elternliebe – ein Tabubruch! Die Eltern hatten es doch immer nur gut gemeint und wirklich das Beste gewollt…