Von Schuld und Schuldgefühlen –
Eine Schuld zu fühlen kann die Folge eines groben Fehlers, eines Vergehens oder eines folgenschweren Versäumnisses sein. Wenn aber jemand eine Schuld in sich fühlt, für die es keinen erkennbaren Anlass zu geben scheint,dann wird sie fragwürdig. Wenn also der Anlass in keinem realistischen Verhältnis zu seinem Schulderleben steht, sprechen wir von Schuldgefühlen. Aus psychoanalytischer Sicht kann es sich um ein komplexes Problem mit Krankheitswert handeln, das professioneller Hilfe bedarf: Wenn zum Beispiel Schuldgefühle als „Grundschuld“ die Folge eines unerwünschten Daseins des Kindes sind. Oder wenn Überlebende von Katastrophen aus einer komplizierten Seelenlage heraus den Getöteten gegenüber schwere Schuldgefühle entwickeln.
An dieser Stelle geht es um Schuldgefühle ohne Krankheitswert. Sie sind mit Selbstvorwürfen verbunden, mit denen sich der Betroffene im Alltag quält. Immer wieder aufs Neue enden sie für ihn mit einem Schuldspruch. Obwohl derjenige sich nichts sehnlicher wünscht, als sich von seiner Qual zu befreien, wird er auf rätselhafte Weise daran gehindert.
Schuldgefühle werden verteidigt
Wer schon einmal versucht hat, jemandem aus dieser Qual herauszuhelfen, der wird festgestellt haben, wie schwierig das ist. Der Betroffene ist überzeugt, dass niemand außer ihm selbst die Schwere seiner Schuld ermessen kann. Was auf den ersten Blick so aussieht wie ein zu hohes Maß an Verantwortung für das eigene Handeln, ist in Wirklichkeit das Gegenteil: Es ist das Unvermögen, mit dem eigenen Handeln auf eine gesunde Weise umzugehen. Der Betreffende ist nicht in der Lage, nach einer Lösung seines Problems zu suchen. Er bleibt gewissermaßen stecken in seinen Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln, in seinen Scham- und Schuldgefühlen.
Das Phänomen ist bekannt: Wer als Kind Opfer einer machtvollen Erziehung war, der hat früh gelernt, sich schuldig zu fühlen – und gleichzeitig das unbarmherzige Vorgehen seiner Eltern zu rechtfertigen. So lebt er bis zum heutigen Tag noch als Erwachsener mit seinem latent vorhandenen Schuldbekenntnis. Ein durch die Erziehung angelegtes überstrenges Wertesystem ist der Ursprung. Es zwingt ihn, sich ständig zu kontrollieren, zu bewerten und sich selbst in die Schuld- und Schamecke zu stellen. Sein Schuld-Programm gipfelt unter Umständen in dem vernichtenden Urteil: Wenn die anderen wüssten, wie ich in Wirklichkeit bin, könnten sie mich gar nicht lieben! Ihm reichen bereits bestimmte Blicke, Gesten oder Seufzer, um sich als Verursacher des Unwohlseins eines Anderen schuldig zu fühlen.
Damit macht er sich nicht nur selbst das Leben schwer, er ist damit auch das ideale Opfer für Menschen, die sich ihre „Lieben“ durch emotionale Erpressung gefügig machen. Denn er wird immer darum bemüht sein, die Erwartungen seines Erpressers zu erfüllen, um sich möglichst nichts zuschulden kommen zu lassen.